Industrie

Wie reagiert die Industrie auf die neuen USA-Zölle?

Die US-Zölle sind ein massiver Schlag gegen die industrielle Wettbewerbsfähigkeit Europas. Wer jetzt abwartet, verliert. Wer dagegen strategisch agiert, legt die Basis für die Zukunft. Wir werfen auf einen Blick auf die Auswirkungen des Handelskriegs auf die europäische Industrie und mögliche Gegenmaßnahmen.

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Die neuen USA-Zölle, geopolitische Spannungen und ein wachsender Protektionismus fordern Unternehmen weltweit heraus – besonders stark betroffen: die Industrie in der DACH-Region. Deutschland, Österreich und die Schweiz sind Exportnationen mit globalen Wertschöpfungsketten. Sie sind nicht trotz, sondern wegen ihrer internationalen Verflechtung erfolgreich.

Die jüngsten Zollmaßnahmen der USA werfen daher massive Schatten auf die Zukunftsperspektive dieser Länder: sinkende Marge, wegbrechende Aufträge, verunsicherte Investoren.

Doch wie genau wirken sich diese Entwicklungen aus – und wie kann die Industrie darauf reagieren? Diese Frage versuchen wir im nachfolgenden Blogpost zu beantworten. 

Chaotische Ausgangslage: Neue Zölle, alte Abhängigkeiten

Die jüngst von den USA ausgerufenen Zölle, die als Maßnahmen zum Schutz nationaler Interessen begründet werden, betrifft das gesamte Spektrum an Investitionsgütern insbesondere im High-Tech-Umfeld – unter anderem Stahl, Aluminium, Fahrzeuge und Maschinen. In der DACH-Region haben die Maßnahmen insbesondere Auswirkungen auf die diskrete Industrie, also auf die Unternehmen, die physisch unterscheidbare Produkte wie Anlagen, Maschinen, Geräte, Fahrzeuge oder High-Tech Komponenten wie Antriebe, Sensoren oder Pumpen herstellen.

Deutschland ist mit Abstand der größte Exporteur derartiger Produkte: Allein 2023 gingen Produkte im Wert von über 130 Milliarden Euro in die USA – fast ein Zehntel der gesamten deutschen Exporte (Quelle: Statista). Ähnliche Abhängigkeiten zeigen sich in Österreich und der Schweiz, insbesondere im Maschinenbau, in der Elektrotechnik und in der Medizintechnik. Die neuen Zölle von bis zu 31 % gefährden nun nicht nur Absatzmärkte, sondern auch Arbeitsplätze, Investitionen und Innovationskraft in allen industriellen Organisationen Europas.

Unterschiedliche Herausforderungen für unterschiedliche Sub-Branchen

Blickt man genauer auf die Auswirkungen, werden deutliche Unterschiede zwischen verschiedenen Sub-Branchen der diskreten Industrie offensichtlich. Welche das sind, lesen Sie hier kurz zusammengefasst:

Maschinen- und Anlagenbau

Dieser Sektor ist das Rückgrat der Industrie in der DACH-Region. Die USA sind ein Schlüsselmarkt, insbesondere für Spezialmaschinen, Robotik und Industrieanlagen. Viele dieser Produkte sind auf den jeweilen Kontext des Kunden individualisiert, beinhalten Jahrzehnte an hochqualifiziertem Wissen in Entwicklung und Herstellung, werden in geringeren Stückzahlen gefertigt und lassen sich nicht ohne Weiteres lokal in den USA produzieren. Die US-Zölle treffen nicht nur den Absatz, sondern auch langfristige Kundenbeziehungen und Investitionsentscheidungen – sie sind ein Anschlag auf Planbarkeit und Vertrauen. Im schlimmsten Fall wirken sie sich sogar negativ auf die Wettbewerbsfähigkeit der US-Unternehmen, beispielsweise in der Chip-Industrie aus.

Komponenten für die High-Tech-Branche

Unternehmen dieses Sektors stehen vor einer doppelten Herausforderung: Einerseits durch US-Zölle, andererseits durch die vermehrte Konkurrenz asiatischer – insbesondere chinesischer – Anbieter, die sich nach der expliziten US-Abschottung verstärkt auf Europa fokussieren. Die höheren Stückzahlen des Sektors sowie ein Erstarken der Engineering-Expertise in Asien beflügeln die Mitbewerber insbesondere aus Indien und Malaysia. Für die Schweizer, deutschen und österreichischen Hersteller bedeutet dies zusätzlichen Preisdruck und die Notwendigkeit zur Differenzierung durch Innovation, Geschwindigkeit und kundenspezifische Adaption.

Konsumgüterindustrie

Auch für die ohnehin schon stark unter Druck stehende Konsumgüterindustrie werden die Herausforderungen nicht geringer – insbesondere in Bereichen mit starker Exportorientierung oder transatlantischen Lieferketten. Gleichzeitig geraten margensensitive Segmente – etwa Haushaltswaren oder Elektro-Kleingeräte – unter zusätzlichen Wettbewerbsdruck. Viele Unternehmen stehen vor der Aufgabe, ihre Absatzstrategien neu zu bewerten, alternative Märkte zu erschließen und Produktionskapazitäten regionaler auszurichten. Besonders kritisch ist die Unsicherheit in der Nachfrageentwicklung, da Verbraucher in den USA und Europa sensibel auf Preisanpassungen reagieren. Für europäische Konsumgüterhersteller bedeutet dies: Flexibilität in der Produktion, gezielte Digitalisierung und eine stärkere Regionalisierung werden zur zentralen strategischen Priorität.

Maßnahmen gegen den Sturm: Strategien zur Abfederung

Die geopolitischen Rahmenbedingungen können Unternehmen nicht beeinflussen – aber sehr wohl ihre Reaktion darauf. Aber wie kann die Industrie ganz konkret auf die genannten Herausforderungen reagieren? Wie die Herausforderungen auch, sind die Antworten darauf vielschichtig. Sie haben aber eines gemeinsam: sie erfordern ein strategisches Umdenken.

Für die Industrieunternehmen in der DACH-Region geht es nicht mehr um kurzfristige Schadensbegrenzung, sondern um strukturelle Resilienz und Zukunftsfähigkeit. Die folgenden Handlungsfelder zeigen auf, wie betroffene Unternehmen gezielt gegensteuern können – operativ und strategisch:

  • 1. Diversifikation statt Konzentration

    Viele Unternehmen überprüfen derzeit ihre Exportmärkte. Der Fokus verschiebt sich – von den USA hin zu Regionen wie Südostasien, Lateinamerika oder dem Nahen Osten. Freihandelsabkommen wie CETA (mit Kanada), das Abkommen mit Südkorea oder die neue EU-Strategie für Afrika bieten Chancen zur Markterweiterung. Die Schweiz steht vor einem Abkommen mit Indien, mit Thailand und hat soeben ein Abkommen mit Malaysia ratifiziert. Abkommen mit den Mercosur Staaten sind in Kraft oder in Verhandlung, welche den vereinfachten Zugang in aufstrebende Länder für die diskrete Industrie ebent.

  • 2. Lokalisierung der Wertschöpfung

    „Local-for-local“ wird zum strategischen Gebot: Wer in den USA verkaufen will, muss dort produzieren. Viele Unternehmen prüfen die Verlagerung von Montage- oder sogar Fertigungslinien in nordamerikanische Standorte. Das schafft Nähe zum Kunden – und vermeidet Zölle. Im Gegenzug bedeutet dies auch Investitionen in eine zwar große, aber auch fragile Volkswirtschaft, die dann in anderen Bereichen fehlen, z. B. im Bereich Innovation. Eine grundlegende strategische Entscheidung über die Investitionspriorität zeichnet sich ab.

  • 3. Lieferketten neu denken

    Gerade im Alpenraum und darum herum, wo viele Unternehmen aufgrund ihrer Spezialisierung stark in komplexe Liefernetzwerke eingebunden sind, findet ein Re-Design der Supply Chains statt. Sourcing außerhalb der zollbetroffenen Regionen, verstärkte Lagerhaltung oder regionale Redundanzen gehören zu den vordergründigen Maßnahmen. Die damit einhergehende Verknappung der Güter zwingt Firmen zur Prüfung von verlängerten Lebenszyklen von Maschinen oder ihren Komponenten, welche im Tenor der Nachhaltigkeit erstrebenswert erscheinen. Wiederaufbereitung, spezifisches Recycling und Evergreen- Ansätze werden als vielversprechende Grundsteine gesehen.

  • 4. Produktanpassung als strategischer Hebel

    Ein oft übersehener, aber wirkungsvoller Ansatz ist die gezielte Produktanpassung. Unternehmen entwickeln vermehrt Varianten ihrer Produkte, die unter zollrechtlich günstigere Klassifizierungen fallen. Alle voran Subscription-basierte-, Leasing- oder Mietmodelle. Diese technische und juristische Feinarbeit erfordert enge Zusammenarbeit mit Zoll- und Außenhandelsexperten – kann aber erhebliche Kosten sparen.

    Darüber hinaus setzen viele auf modulare Produktionsansätze, bei denen nur vormontierte Einheiten exportiert werden. Die Endmontage erfolgt dann direkt im Zielland, wodurch sich der zollpflichtige Anteil des Produkts deutlich reduziert. Das erhöht die Flexibilität in der Produktion und schafft zugleich lokale Wertschöpfung.

  • 5. Effizienz und Innovation

    Höhere Kosten durch Zölle lassen sich nur teilweise weitergeben. Der Rest muss durch Effizienz aufgefangen werden – sei es durch Automatisierung, Lean-Management, Methodiken wie Value Engineering oder digitale Prozesse. Gleichzeitig gewinnen Innovation und Produktdifferenzierung an Bedeutung: Unternehmen, die technologisch vorne sind, können Preisdruck und Handelsbarrieren besser kompensieren.

Es braucht politische Flankierung und starke Wirtschafts-Ökosysteme

Nicht alle – oder vielleicht sogar die wenigsten – Herausforderungen lassen sich im Alleingang lösen. Auch die Politik ist gefragt: Die Industrieverbände in Deutschland (z. B. VDMA, ZVEI), Österreich (VDMA, IV) und der Schweiz (Swissmem) fordern gezielte Unterstützung – etwa durch Exportförderungen, Steuererleichterungen oder gezielte Investitionsanreize. Die Förderung der Industrie durch weitere Freihandelsabkommen stehen auf der politischen Agenda dieser Verbände und diese scheinen einen mittel- bis langfristigen Hebel zu haben wie Beispiele von Staaten wie Dänemark oder der Schweiz in ihrer Exporttätigkeit unterstreichen.

Gleichzeitig müssen außenpolitische Kanäle gestärkt werden. Die EU-Kommission aber auch die Schweizer Aussenpolitik ist gefordert, in Washington für eine gerechte und langfristige Handelsordnung einzutreten. Ein transatlantischer Wirtschaftsdialog, wie er in den letzten Monaten wiederbelebt wurde, könnte mittelfristig zu Deeskalation führen.

In der Wahrnehmung der letzten Jahre haben sich Schutzmaßnahmen der europäischen Industrie wie Förderprogramme oder Subventionen nicht als geeignetes Mittel erwiesen, um den strukturellen Wandel aufzuhalten. Ein Segeln hart am Wind der Veränderung und eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit dem Markt, Kundenbedürfnissen sowie eine zielgerichtete Adaption von aufkommenden Technologien, sorgfältig in die Wertschöpfungskette eingebettet hat sich bewährt, um die Resilienz zu verstärken. Langfristige Kundenbeziehungen bauen auf Vertrauen, kontinuierlicher Spitzenleistungen und klarer strategischer Differenzierung. Wir sind überzeugt: Wer diese Tugenden beherzigt, so wie viele Unternehmen im Herzen Europas, wird erfolgreich sein.

Richtet man den Blick wieder von der Politik auf die Branche selbst, stellen wir fest: Ein oft unterschätzter Erfolgsfaktor in der aktuellen Lage ist die Stärke regionaler industrieller Ökosysteme. Gerade in Krisenzeiten zeigt sich: Wer eingebettet ist in ein belastbares Netzwerk aus Zulieferern, Technologiepartnern, Forschungseinrichtungen und lokalen Dienstleistern, kann schneller und flexibler reagieren. Clusterstrukturen – etwa im Maschinenbau, in der Medizintechnik oder in der Elektronikfertigung – bieten nicht nur Innovationspotenzial, sondern auch operative Resilienz: kürzere Wege, höhere Transparenz und schnelleres Anpassen an neue Marktanforderungen. Unternehmen sollten deshalb nicht nur ihre internationalen Wertschöpfungsketten hinterfragen, sondern auch aktiv in die Stärkung regionaler Partnerschaften und Kooperationsstrukturen investieren. In einem fragmentierten globalen Umfeld wird dies zum strategischen Vorteil.

Fazit: Herausforderung als Katalysator?

Die neuen USA-Zölle sind eine ernste Bedrohung für die gesamte Industrie in Europa – wie so oft bei unberechenbaren Ereignissen aber auch eine Chance. Wir bei Zühlke sind überzeugt: Unternehmen, die jetzt agieren, ihre Strategien überdenken und neue Märkte erschließen, können nicht nur überleben, sondern gestärkt aus der Krise hervorgehen.

Die Geschichte der Industrie in Deutschland, Österreich und der Schweiz ist eine Geschichte von Unternehmertum, Anpassung, Innovation und internationalem Denken. Diese Tugenden sind heute wieder wichtiger denn je – und sie sind der Schlüssel für eine erfolgreiche Zukunft in einer zunehmend fragmentierten und volatilen Weltwirtschaft.

Mario Schmuziger Zühlke

Daher mein persönliches Take-Away zum Schluss: Bleiben Sie zuversichtlich: Jede Krise birgt auch die Chance zur Neupositionierung. Wer heute klug handelt, kann morgen führend sein – trotz Zöllen, Barrieren und Unsicherheiten.

Sie haben Fragen oder sind anderer Meinung? Kontaktieren Sie mich gerne. Ich freue mich auf einen Austausch.