Medizintechnik & Gesundheitsindustrie

Agile Entwicklung von Medizinprodukten – Darauf kommt es an

Agile Methoden haben viele Vorteile: Sie halten den Fokus auf dem Marktgeschehen, rücken die Bedürfnisse der Nutzer in den Mittelpunkt, machen Risiken transparent und helfen dabei, die Technik immer auf dem neuesten Stand zu halten. Doch auch bei diesem Ansatz gibt es Herausforderungen. Hier werfen wir einen Blick auf drei typische Herausforderungen und zeigen, wie man sie erfolgreich meistert.

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Agile Methoden sind aus der Softwareentwicklung nicht mehr wegzudenken, selbst in stark regulierten Bereichen wie der Medizintechnik. Doch wenn es um die Produktentwicklung geht, wird es anspruchsvoll. Hier müssen oft viele unterschiedliche Disziplinen eng zusammenarbeiten. Agile Projekte in der Produktentwicklung sind meist komplexer, weil sie nicht nur Software umfassen, sondern auch physische Komponenten, die ebenfalls entwickelt werden müssen. Im Folgenden gehen wir auf drei zentrale Herausforderungen ein und geben Tipps, wie sie sich lösen lassen – Herausforderungen, die übrigens nicht nur die Medizintechnik betreffen, sondern in vielen Branchen vorkommen.

Herausforderung 1: Effektive Kommunikation im agilen Team

Wenn Teams aus unterschiedlichen Bereichen zusammenkommen, kann die anfängliche Begeisterung schnell in Skepsis umschlagen. So erscheinen die Methoden der Softwareentwickler den Hardware- und Elektronikexperten oft chaotisch, während die Hardware-Teams aus Sicht der Softwareentwickler eher langsam wirken. Hier helfen nur offene Kommunikation und die Bereitschaft, sich auf die Perspektiven der anderen einzulassen. Jedes Team sollte die eigenen Arbeitsweisen gut erklären – etwa, warum die Hardware-Entwicklung eine sorgfältige Planung braucht oder warum Software-Updates wegen kürzerer Integrationszyklen schneller gehen können.

Gute Kommunikation lebt von regelmäßiger Abstimmung und einer gemeinsamen Sprache. Missverständnisse entstehen häufig, weil technische Begriffe unterschiedlich aufgefasst werden. Während Softwareentwickler einen Prototyp zum Beispiel oft als vorläufig betrachten, sehen Ingenieure ihn manchmal schon fast als finales Produkt an. Ein gemeinsames Glossar mit klar definierten Begriffen wie „Software-Prototyp“ oder „Device-Prototyp“ kann hier Abhilfe schaffen und die Zusammenarbeit erleichtern.

Herausforderung 2: Agile Entwicklung in Balance bringen

In einem agilen Projekt sollten technische Komponenten früh eingebunden und zeitlich gut abgestimmt werden. So könnte man beispielsweise zunächst ein Evaluation Board einsetzen und später auf ein eigens entwickeltes Motherboard umsteigen oder vorübergehend einen anderen Motorregler nutzen, bis die finale Version bereitsteht. Hier geht es darum, den Integrationsplan mit der Flexibilität für schnelle Anpassungen in Einklang zu bringen. Dabei helfen eine klare Integrationsvision und ein detaillierter Systemintegrationsplan.

Drei Entwicklungsstufen: Labormodell (lila, Einblicke in technische Elemente), Integrationsmodell (lila und grau, Funktionen erweitern) und Vorserienmodell (blau, finale Komponenten).

Die Integrationsvision skizziert die Schritte zur Einbindung von Modellen und Prototypen und gibt dem Projekt eine klare Richtung vor. Sie ist kein fester Ablaufplan, sondern eher ein Leitfaden. Der Systemintegrationsplan hingegen beschreibt die technischen Schritte, die zur Umsetzung dieser Vision nötig sind, und legt den Fokus auf die großen Risiken und zentralen Funktionen. Gleichzeitig sollte der Plan flexibel genug sein, um bei neuen Erkenntnissen angepasst werden zu können.

Agile Methoden einzuführen kann erst einmal herausfordernd wirken, aber schrittweise Veränderungen wirken oft nachhaltiger als ein radikaler Wechsel. Diese Vorgehensweise passt gut zur agilen Denkweise und ermöglicht es, Fortschritte nach und nach zu realisieren. Agile Frameworks wie SAFe, LeSS oder Nexus können dabei unterstützen und die kulturelle Veränderung begleiten.

Diagramm zeigt sinkendes Risiko und steigenden Wert über 11 Sprints, mit Meilensteinen: Labormodelle (früh), Integrationsmodelle (Mitte) und Vorserienmodell (final).

Herausforderung 3: Tests – Das Rückgrat der agilen Entwicklung

Die Einhaltung der Integrationsvision und des Plans ermöglicht den schrittweisen Aufbau des Endprodukts, wie es die agilen Prinzipien vorsehen. Jeder Integrationsschritt sollte automatisiert getestet werden, um sicherzustellen, dass die Funktionalität auch nach Updates erhalten bleibt. Automatisierung ist nicht nur für die Entwicklung nützlich, sondern auch für End-of-Line-Tests, Wartung und Verbesserungen nach der Markteinführung.

Neben automatisierten Tests sollte regelmäßig externes Feedback eingeholt werden, um sicherzustellen, dass das Produkt auch wirklich auf die Marktanforderungen zugeschnitten ist. Ein Vorteil agiler Methoden liegt im frühzeitigen und häufigen Feedback durch Nutzer, was bei Bedarf schnelle Anpassungen ermöglicht. Nutzen Sie Ihr Netzwerk, von Kollegen bis hin zu Pilotkunden, um Integrationsmodelle zu testen. Und seien Sie kreativ: Simulieren Sie fehlende Teile einfach mit Papier oder manuellem Einsatz, um frühzeitig Rückmeldungen zu erhalten.

Fazit: Agile Methoden können Entwicklungsrisiken und -kosten erheblich senken, da sie auf frühe Tests und Feedback setzen – und letztlich das Time-to-Market deutlich verkürzen.

Erik Steiner

Business Solution Manager

Erik Steiner, Dipl. Ing. (FH) Automatisierungstechnik, ist Business Solution Manager bei Zühlke und führt dort seit 2006 erfolgreich Entwicklungsprojekte. Er hat viel Erfahrung in der agilen Software- und Geräteentwicklung im Medizin- und Pharma-Sektor und ist begeistert von den neuen Möglichkeiten der Digitalisierung und KI in Kombination mit klassischen Geräten oder als eigenständige Produkte.

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