5 Minuten Lesezeit Mit Insights von Philipp Morf Head AI & Data Practice philipp.morf@zuehlke.com Künstliche Intelligenz ist längst in Unternehmen angekommen. In nahezu allen Branchen beobachten wir eine parallele Entwicklung: Einerseits nutzen Mitarbeitende Tools wie ChatGPT oder Copilot, um kreatives und konzeptionelles Arbeiten zu beschleunigen. Andererseits übernehmen spezialisierte KI-Systeme zunehmend operative Aufgaben, von automatisierten Prozessen bis hin zu optimierten Workflows. Mit zunehmender Reife der Technologien verlagert sich der Fokus: Weg von der technischen Machbarkeit, hin zu ihrer konkreten Auswirkung auf das Geschäft. Dabei bleibt ein zentraler Aspekt häufig unberücksichtigt: Der menschliche und organisatorische Kontext. Wer Arbeit wirklich neu denken will, darf den zentralen Mehrwert nicht ignorieren, den der Einsatz von KI mit sich bringt und der oft übersehen wird: Zeit. Das Produktivitätsparadox: KI schenkt Zeit – aber wir nutzen sie nicht gewinnbringend Eine Studie der Universität Lausanne zeigt: Wer generative KI für Schreiben, Recherche, Programmierung oder Terminplanung einsetzt, spart oft mehrere Stunden pro Woche. Eigentlich ein Wendepunkt. Doch in der Praxis bleibt diese Zeitersparnis häufig ungenutzt – oder wird nicht bewusst eingeplant. Statt echten Mehrwert zu schaffen, versickert die gewonnene Zeit oft.Das Ergebnis: ein Produktivitätsparadox. Wir arbeiten zwar schneller aber nicht zwingend produktiver. Laut Gartner berichten nur 34 % der Teams, die generative KI einsetzen, von spürbaren Produktivitätsgewinnen. KI beeinflusst Motivation und Engagement. Nicht nur Effizienz Doch es geht um mehr als nur die Zeitersparnis durch KI, auch ihr Potenzial bleibt oft ungenutzt. Eine Reihe von Harvard-Studien mit rund 3.500 Teilnehmenden zeigt: Zwar verbessert der KI-Einsatz die Leistung, doch sobald Mitarbeitende andere Aufgaben ohne KI-Unterstützung erledigen müssen, sinkt ihre Motivation. Viele empfinden diese sogar als langweilig. Hinzu kommt die emotionale Dimension: Verunsicherung über die eigene Rolle, die Zukunft der Arbeit, den eigenen Platz im Unternehmen. Kurz gesagt: KI bringt Veränderungen mit sich, aber keine Garantie für positive Auswirkungen. Eine technische KI-Strategie reicht nicht. Gefragt ist eine Arbeitsstrategie, die den Menschen ins Zentrum stellt Wenn KI Prozesse verändert, stellt sich nicht nur die Frage nach Effizienz, sondern auch nach dem Purpose. Unternehmen stehen vor einer doppelten Herausforderung: die freigesetzte Zeit klug zu nutzen und gleichzeitig Motivation, Verbundenheit und klare Rollenbilder zu stärken. Der Schlüssel liegt nicht allein in der Technologie, sondern in einer strategischen Neudefinition dessen, was Zeit, Produktivität und Erfüllung in einer Welt mit KI wirklich bedeuten. Die folgenden sechs Handlungsfelder helfen dabei, Zeitgewinne durch KI in echten unternehmerischen Fortschritt zu übersetzen: 1. Bessere Work-Life-Balance ermöglichen 1. Bessere Work-Life-Balance ermöglichen KI eröffnet die Möglichkeit, Arbeitslasten zu verringern. Doch dieses Potenzial bleibt oft ungenutzt. Wer KI-Zeitgewinne aktiv umverteilt, kann Arbeitszeit, Erreichbarkeit und Leistungserwartungen neu denken. Das kann konkret bedeuten: kürzere Arbeitswochen, mehr Raum für asynchrone Zusammenarbeit oder Fokuszeiten ohne Meetings. Solche Maßnahmen helfen nicht nur ständig am Limit arbeitenden Teams: Sie fördern Vertrauen, stärken die Autonomie und zahlen positiv auf Wohlbefinden, Bindung und Arbeitgebermarke ein. 2. Innovation gezielt fördern 2. Innovation gezielt fördern Innovative Ideen entstehen selten unter Druck. Wer den Kalender voll hat, arbeitet eher reaktiv statt kreativ. Wenn KI Routineaufgaben übernimmt, entsteht Raum für Neues. Aber nur, wenn dieser Freiraum bewusst geschützt wird. Mögliche Ansätze: feste Zeiten für Experimente einplanen, interne Hackathons durchführen oder Innovationsziele aktiv in Team-OKRs integrieren. So wird kreative Energie nicht dem Zufall überlassen, sondern gezielt gefördert. 3. In kontinuierliches Lernen investieren 3. In kontinuierliches Lernen investieren Der Wandel durch KI ist schneller als klassische Weiterbildungsmodelle mithalten können. Gleichzeitig schafft KI neue Freiräume für genau dieses Lernen, vorausgesetzt, Organisationen bieten Orientierung und Zugang. Effektive Lernstrategien könnten zum Beispiel kuratierte Lernpfade entlang zukünftiger Kompetenzbedarfe, praxisnahe Formate wie Coaching oder Peer-Learning sowie eine enge Verknüpfung mit Karrierezielen und Innovationsprojekten beinhalten. Wichtig: Lernen muss als wertvoll erlebt werden, sowohl für die Organisation als auch für die Einzelnen. 4. Unternehmenskultur aktiv stärken 4. Unternehmenskultur aktiv stärken KI kann Arbeit fragmentieren. Sie kann aber auch neue Wege der Zusammenarbeit ermöglichen, wenn Zeitgewinne bewusst für menschliche Interaktion genutzt werden. Dazu zählen etwa Formate wie Reflexionsrunden, Storytelling-Sessions oder teamübergreifende Demos. Auch der Aufbau von themenbezogenen Lerngemeinschaften, in denen sich Mitarbeitende aktiv über Erfahrungen und Wissen austauschen (sogenannte Communities of Practice) kann helfen, eine gemeinsame Lernkultur zu stärken. So wird aus Effizienz nicht Isolation, sondern Zugehörigkeit und Sinn. 5. Produktivität neu definieren mit Fokus auf Wirkung 5. Produktivität neu definieren mit Fokus auf Wirkung Wenn Zeitgewinne in wertschöpfende Aufgaben wie die Interaktion mit Kunden oder strategische Entscheidungen fließen, entsteht ein Multiplikatoreffekt. Bleiben sie hingegen ungelenkt, verschwinden sie oft in Aktionismus, digitalem Kleinkram oder Doppelarbeit. Wirkungsvolle Gegenmaßnahmen können sein: Prozesse so gestalten, dass KI menschliche Kreativität und Urteilsvermögen unterstützt, klare Prioritäten definieren und bewusst nicht alles automatisieren. Auch neue Metriken, die Ergebnisse statt Auslastung messen, sind ein zentraler Hebel. Nur so wird aus „schneller arbeiten“ auch „besser wirken“. 6. Zeitgewinne strategisch nutzen 6. Zeitgewinne strategisch nutzen: eine Antwort auf den Fachkräftemangel Mit der alternden Gesellschaft und steigendem Qualifikationsbedarf steuern viele Branchen auf einen strukturellen Fachkräftemangel zu. Unternehmen können sich vorbereiten, indem sie die durch KI gewonnenen Kapazitäten in langfristige Resilienz investieren, etwa durch gezielte Talententwicklung, rollenübergreifende Schulungen oder die Sicherung von Wissen in digitalen Systemen. Nicht das Unternehmen mit der besten Technologie wird gewinnen, sondern das, welches mit seiner Zeit am klügsten umgeht. Fazit: Wenn KI die Jobs verändert, muss auch ihre Bedeutung neu gedacht werden KI verändert, wie wir arbeiten. Ihren vollen Wert entfaltet sie aber erst, wenn wir auch neu denken, wofür wir arbeiten. Es geht nicht nur um Automatisierung und Effizienz. Es geht darum, was wir mit der gewonnenen Zeit tun. Wer KI rein technisch denkt, bleibt hinter dem Potenzial zurück. Was es braucht, ist eine Strategie, die Technologie mit Menschlichkeit verbindet. Eine Strategie, die Menschen nicht ersetzt, sondern ihnen ermöglicht, mit KI an ihrer Seite zu wachsen, zu führen und Wert zu schaffen. Das bedeutet: in Kultur investieren, in Fähigkeiten und in Sinn. Es geht nicht nur darum, wie KI einzelne Aufgaben übernimmt – sondern darum, wie Menschen in einer KI-gestützten Welt aufblühen können.
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