Industrie

Bewältigung von Herausforderungen bei der Entwicklung und Integration von Smart Connected Products

Mit der zunehmenden Produktdigitalisierung haben viele führende Industrieunternehmen mit der notwendigen Transformation ihrer F&E-Prozesse zu kämpfen. Wie können Führungskräfte dies ändern? Wir zeigen Ihnen den Weg zu einer nahtlosen Device Experience.

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Mit Insights von

Die Produktdigitalisierung bringt für viele führende Industrieunternehmen enorme Herausforderungen mit sich, ihre Produktmanagement- und F&E-Prozesse zu transformieren und zu revolutionieren, um sich einer neuen Ära anzupassen. Letztendlich besteht das Ziel darin, physische Produkte zu realisieren, die die Digital Experience und Services nahtlos integrieren und End-to-End-Lösungen für Kunden bieten. Dies ist jedoch nicht immer einfach.

Obwohl verschiedene vielversprechende Ansätze – wie Agile, Scrum, Design Thinking und die Einführung neuer Tools – bereits etabliert sind, um diese Herausforderung zu bewältigen, schaffen sie allein nicht den tiefgreifenden Wandel. Dieser aber ist erforderlich, um Smart und Connected Products zu realisieren. Dies wirft allerdings eine entscheidende Frage auf: Was kann diesen Wandel schaffen?

In diesem Artikel versuchen wir, diese Frage zu beantworten und den Weg zu einer nahtlosen Device Experience zu veranschaulichen.

Hardware und Software ergänzen sich und schaffen neue Synergien

Unternehmen, die vor der digitalen Ära Marktführer waren, hatten einen sehr gut definierten Entwicklungsprozess, der außergewöhnliche Qualität, hervorragende Produktleistung und schnelle Markteinführung garantierte. Neue Markteinführungen erfolgten alle paar Jahre, wodurch den Ingenieuren ausreichend Zeit zur Entwicklung und Prüfung der Hardware zur Verfügung stand. Diese Produkte wurden schließlich zu einem genau definierten Zeitpunkt auf den Markt gebracht, als sie Perfektion erreicht hatten, und blieben danach jahrelang auf dem Markt bestehen. Zu dieser Zeit war die Software-Entwicklung nur ein Delivery Center, das bereits entwickelte Hardware-Funktionen verbesserte, aber Software allein wurde nicht als wertschöpfend oder als Unterscheidungsmerkmal angesehen.

„ Die digitale Ära bringt neue Akteure in den Entwicklungsprozess und verwandelt ein Produkt in ein komplexes System, das unterschiedliche Software und Hardware integrieren muss. “
Réka Leisztner
Senior Consulting Manager, Zühlke Group

Dieses Umfeld hat sich jedoch entscheidend verändert. Die Integration von Software in physische Geräte gibt es schon seit Jahrzehnten, allerdings nur als unterstützendes Beiwerk zu den Hardwarekomponenten. Die Einführung verschiedener Schnittstellen, Konnektivität, Dienstleistungen, Drittanbieteranbindungen, maschinelles Lernen, KI, Datenspeicherung etc.  änderte das Paradigma. Jetzt hängen der Produkterfolg und die Umsatzgenerierung nicht mehr ausschließlich von neuer Hardware ab. Die kontinuierliche Entwicklung und Veröffentlichung von unterschiedlichen Softwareservices aktualisiert die Hardware, da sie zusammen das Produkt als eine Einheit bilden. Mit Hardware, Software und allen anderen unterstützenden Komponenten wurde ein Produkt zu einem komplexen System, das nicht nur aus der Hardwareperspektive betrachtet werden sollte, bei dem lediglich die Software später hinzugefügt wird.

Diese Transformation bringt neue Geschäftsmodelle mit sich und ermöglicht es physischen Geräten, länger auf dem Markt zu bleiben, wiederkehrende Einnahmen zu erzielen und nachhaltigere Produkte zu schaffen. Auf der anderen Seite verändert es jedoch auch die Spielregeln, indem es zwei kritische Faktoren ins Spiel bringt:

  • Das ultimative Alleinstellungsmerkmal und Wettbewerbsvorteil: Customer Experience.
  • Der Motor für Wachstum und Innovation: Daten.

Wenn man auf den Produktentwicklungsprozess (PEP) zurückblickt, der einst den Erfolg garantierte, ist es entscheidend zu fragen, ob die aktuellen Prozesse und Denkweisen den erweiterten Softwarefokus wirklich berücksichtigen. Wird die Software und andere zugehörige Subsysteme bereits als Kernelement der Strategie angesehen, oder immer noch als peripheres Element behandelt, das die Hardware unterstützt?

Mit anderen Worten, ist es noch korrekt, sich auf den Hardwareentwicklungsprozess zu konzentrieren und die Software direkt zu Beginn der Produktentwicklung zu trennen?

Wir glauben, dass dem nicht so ist. Hier unsere Gründe für diese Überzeugung:

Der Schlüssel zur erfolgreichen Entwicklung vernetzter Produkte ist die Betrachtung des Produkts als System

Versetzen wir uns in die Lage unserer Kunden und betrachten ein Beispiel einer weltweit führenden Lautsprechermarke, die für ihre herausragende und erstklassige Klangqualität bekannt ist. Angenommen, dieses Unternehmen hat kürzlich einen intelligenten Lautsprecher herausgebracht, der über Ihre Stimme und eine App gesteuert werden kann, vollständig kompatibel mit den wichtigsten Streaming-Diensten ist und über einen automatische Equalizer-Anpassung verfügt, die den Klang basierend auf dem aktuellen Song optimiert. 

Die Nutzende beginnt das Produkt zu verwenden und es liefert die erwartete herausragende Klangqualität. Die Nutzende verwendet es täglich und erlebt bald Konnektivitätsprobleme – der Sprachbefehl funktioniert oft nicht und die Verwendung der App ist so frustrierend, dass sie das Produkt am liebsten gegen die Wand werfen möchte. Was könnte die Schlussfolgerung der Nutzenden hieraus sein?

A: Sie wird das teurere Produkt weiterhin kaufen und dafür bezahlen, weil sie es weiterhin mag, obwohl die Nutzung sehr frustrierend ist. Wie auch immer, die Nutzende ist loyal.

B: Sie kommt zu dem Schluss, dass es einmal ein sehr gutes Produkt war, nun aber nicht mehr ist. Sie kann das Produkt nicht mehr nutzen und muss Kompromisse bei der Klangqualität eingehen, damit sie zumindest ohne Frust Musik hören kann. Die Nutzende sucht nach einem Konkurrenzprodukt.

Es ist vermutlich leicht zu erraten, welches Szenario wahrscheinlicher ist.

Kundinnen und Kunden unterscheiden nicht zwischen Hardware, Software, Sensoren oder Gateways, wenn sie ein Produkt bewerten. Sie kümmern sich nur um das Produkt als Gesamtlösung und den Wert, den es schafft. Wenn die App zum Beispiel versagt, werden Nutzende nie den Leiter der App-Entwicklung ansprechen und fragen, warum es nicht funktioniert. Sie werden das Unternehmen als Ganzes ansprechen, da in ihren Augen das gesamte Produkt versagt hat.

Aber, welche Relevanz hat dies für den Entwicklungsprozess?

Der Schlüssel zur erfolgreichen Produktentwicklung digitaler, intelligenter oder vernetzter Produkte liegt darin, das Produkt als Gesamtsystem zu betrachten und dieses System erfordert Eigentümer. Anstatt ausschließlich die Hardware zu spezifizieren und die Software-bezogenen Elemente als nachranginge Anforderung zu behandeln, sollte das Produkt ganzheitlich von der ersten strategischen Phase an betrachtet werden. Diese Sichtweise ist das „game-changing“ Element.

Betrachten wir diesen Ansatz im Detail:

Mit Systems vom Silo zu neuen Synergien

Vielleicht haben Sie den Begriff "systems thinking" in verschiedenen Zusammenhängen schon einmal gehört. Und so wertvoll dieses Konzept in vielen Bereichen ist, so sehr strebt die Produktentwicklung danach, dazuzugehören.

Denken in Systemen und Lösungen im Entwicklungskontext ist eine völlig neue Denkweise, um ein Produkt mit vollständiger Transparenz und Rückverfolgbarkeit vom Gesamtsystem bis zur kleinsten Komponente zu definieren, zu entwerfen und zu entwickeln. Es ist die Mentalität: „Wenn ich an diesem Element arbeite, wird dies die Gesamtfunktionalität des Systems beeinflussen“. Auch wenn dies kompliziert klingen mag, muss es das nicht sein. Traditionelle Organisationsstrukturen sind nicht darauf ausgelegt, Systemintegration zu liefern, da sie oft in Silos operieren. Dies ist an sich kein Problem; Silos mögen ihre Berechtigung und Sinnhaftigkeit haben. Die wichtigere Frage ist jedoch, ob diese Silos sich gegenseitig mit Daten, Metriken und Prozessen unterstützen, um Systeme zu entwickeln. Das Ziel ist nicht, eine etablierte Organisation neu zu formen, basierend darauf, wie ein Kunde das Produkt erlebt. Stattdessen sollte der Fokus auf der Sicherstellung liegen, dass das Betriebsmodell durch integrierte Systemfunktionen Mehrwert schaff anstatt isolierter Komponenten.

Sollten Sie also mehr Systems Engineers einbeziehen? Absolut, aber ein Schritt nach dem anderen. Sie sollten zunächst ein Setup schaffen, bei dem Systems Engineers den Kontext haben, mit dem sie arbeiten können – das Betriebsmodell für integrierte Lösungen.
 

Anforderungen bestehen bereits, decken aber nicht alle Anwendungsfälle ab

Bleiben wir bei dem oben genannten Beispiel: Welche Fehlerquellen gibt es beim Lautsprecher? Es gibt viele Möglichkeiten, die ein solches Produkt zum Scheitern bringen können. Wenn wir uns die neuesten Berichte zur Digitalisierung und Entwicklung von Smart Connected Products ansehen, sind einige der aufkommenden Probleme die Komplexität des Kundenverständnisses, die Definition des Produkts und die Gewährleistung von Sicherheit und Compliance.

Anforderungen sind so subjektiv wie Geschmack oder Meinungen und können so viele Schichten haben wie ein jahrhundertealter Baum. Obwohl es einfach ist zu sagen: „Wir brauchen Anforderungen“, ist es entscheidend, genau zu spezifizieren, was das bedeutet, wer sie definiert, auf welcher Ebene, wann sie entwickelt werden sollen und wie man sie dokumentiert. Dieser Prozess muss von oben nach unten und von unten nach oben gestaltet werden.

Reka Leisztner, Lead Business Consultant, Zühlke
„ Einem Nutzer ist es egal, ob die Hardware perfekt funktioniert, wenn ein Teil der Software versagt. Schlechte digitale Leistung führt zu negativen Erfahrungen und zum Verlust von Kunden, unabhängig von der Qualität der Hardware. “
Réka Leisztner
Senior Consulting Manager, Zühlke Group

Hierin besteht ein häufiges Problem innerhalb und zwischen Organisationen – Hardware Thinking statt Solution Thinking. Produktanforderungen sind oft sehr detailliert und bestehen aus einer Liste mit tausenden von Punkten. Ein genauerer Blick zeigt jedoch, dass diese gut vorbereiteten Anforderungen hauptsächlich auf die Hardware fokussiert sind. Nur wenige, wertvolle 2-3 Zeilen beziehen sich auf andere Komponenten und Subsysteme eines Produkts, wie Softwarefunktionen, App, Cloud-Konnektivität, Sicherheit und andere.

Zusätzlich weisen diese Zeilen oft nur auf einen Teil der Organisation hin und überlassen die Verantwortung für die Produktentscheidung einer organisatorischen Abteilung, die nichts mit den Kunden und dem Markt des spezifischen Produkts zu tun hat. Dieser Ansatz vernachlässigt die Customer Experience, die USP und die Minimal Viable Product (MVP)-Strategien ebenfalls. Der etablierte Produktentwicklungsprozess mag die Hardwarequalität sicherstellen, aber was ist mit dem Rest? Denken Sie daran – Nutzenden ist es egal, ob der Lautsprecher eine wunderbare Klangqualität bietet, wenn es 10 Minuten dauert, bis ein Lied abgespielt wird.

Skalierung von vernetzter Produktentwicklung

Mit großartigen Systemen kommt große Komplexität. Das bedeutet nicht, dass Hardware-Spezifikationen, Architektur und Design nicht mehr benötigt werden. Es bedeutet einfach, dass, während Hardware früher das einzige war, das spezifiziert werden musste, sie jetzt nur ein Teil eines größeren Ganzen ist. Daher muss der Prozess erweitert werden und aus dieser größeren Perspektive beginnen.

Die effektive Skalierung des Produktentwicklungsprozesses zur Handhabung von Connected Products erfordert mehr als nur die Einführung agiler Methoden. Während Lean-Tools entscheidend sind, ist es zuerst essenziell, den Zweck, die Ziele, Metriken, Logik, Rollen, Abhängigkeiten und mehr zu definieren. Erst dann kann der richtige agile Ansatz eingesetzt werden, um diese Ziele zu erreichen.

Hier sind einige Beispiele, wie ein skalierter Prozess aussehen sollte:

  • Beginnen Sie mit einer umfassenden Produktstrategie

    • Definieren Sie eine klare Produktstrategie, die das gesamte Produkt einschließlich aller zugehörigen Systeme umfasst. 
    • Verstehen Sie die Kundenbedürfnisse und beziehen Sie sie so früh wie möglich ein.
    • Skizzieren Sie das finale Ziel, das gewünschte Nutzererlebnis und die Arbeitsabläufe. 
    • Stellen Sie sicher, dass die Product Owner das End-to-End-Produkt betrachten und nicht nur die Hardwarekomponente, und brechen Sie es von dort aus herunter.
    • Planen Sie die Markteinführung in kleinen Schritten, ebenso wie die Software Releases.
  • Definieren Sie die Produktspezifikationen über die Hardware hinaus

    • Produktanforderungen sollten das System als Ganzes beschreiben, einschließlich der Funktionalitäten, des vorgesehenen Gebrauchs, der Leistungskennzahlen, der Benutzerinteraktionen und mehr.
    • Konzentrieren Sie sich darauf, was erreicht werden muss, anstatt wie, da dies zu einem späteren Zeitpunkt kommen wird.
    • Stellen Sie sicher, dass diese Anforderungen umfassend sind und alle notwendigen Details enthalten, um die Entwicklung effektiv zu leiten.
    • Iterieren, iterieren, iterieren. Ein frühzeitiges Erkennen nicht machbarer, nicht tragfähiger oder unerwünschter Anforderungen minimiert kostspielige Fehler.
  • Integrieren Sie frühzeitig Systems Engineers

    • Beziehen Sie Architekturgespräche in die Spezifikationsphase ein, um sicherzustellen, dass Anforderungen machbar sind.
    • Systems Engineers sollten Produktanforderungen aus einer ganzheitlichen Systemperspektive bis zur Design-Ebene zerlegen. Dieser Prozess beginnt mit High-Level-Anwendungsfällen und setzt sich durch entlang der Product Journey fort, indem die genauen Komponenten, die die Lösung implementieren, detailliert werden.
    • Systems Engineers können sicherstellen, dass Elemente des Systems nahtlos zusammenarbeiten und so Integrationsprobleme später verhindern.
    • Entwerfen Sie zuerst die Gesamtarchitektur auf hoher Ebene und zoomen Sie dann hinein, anstatt Software, Hardware, Cloud, Architektur usw. von Beginn an zu trennen.
  • Nutzen Sie agile Methoden

    • Flexibilität ist besonders wichtig in der komplexen, integrierten Produktentwicklung. Die Natur der Hardwareentwicklung unterscheidet sich völlig von der der Software und agile Tools können helfen, mit diesen Unterschieden umzugehen, wenn sie angemessen angewendet werden.
    • Da sich Anforderungen im Laufe des Produktlebenszyklus entwickeln (Software aktualisiert die Hardware), wird agiles Entwickeln unerlässlich.
  • Testen & validieren, um Kundenzufriedenheit zu gewährleisten

    • Testen Sie das System, während es in kleinere Stücke zerlegt wird, von Unit-Tests bis zur vollständigen Systemvalidierung.
    • Erstellen Sie eine Testpyramide, damit Benutzer nur Verbesserungsprobleme und keine Qualitätsprobleme erleben.
  • Integrieren Sie Daten in den Entwicklungsprozess

    • Da das Produkt wiederholt durch neue Software-Releases neu gestartet wird, endet die Entwicklung nicht mit dem ersten Start – sie geht weiter.
    • Sammeln Sie Daten, leiten Sie sie zurück in den Entwicklungsprozess und verbessern Sie die Produktfunktionen.

PEP ist großartig, aber veraltet – es ist Zeit für PEP 2.0

Der Entwicklungsprozess intelligenter und vernetzter Produkte ist im Wesentlichen dem traditionellen Produktentwicklungsprozess in einem Industrieunternehmen ähnlich. Die Komplexität nimmt jedoch zu, was einen größeren Umfang und einen erweiterten Prozessablauf erfordert. Daher ist die Einführung von End-to-End Lösungen und der Entwicklung vernetzter Produkte entscheidend, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Auch im Alltag wissen wir nur, wann wir ein Ziel erreicht haben, wenn wir wissen, was das Ziel war. Wie kann ein intelligentes und vernetztes Produkt geschaffen werden, wenn seine End-to-End-Funktionalität nicht definiert ist? Wie kann eine nahtlose Integration erwartet werden, ohne klare Definitionen, wie Komponenten zusammenarbeiten sollen?

Die organisatorische Struktur stellt die Entwicklung sicher, aber nicht die Integration. Der Prozess muss dies sicherstellen. Beginnend mit einer umfassenden Produktstrategie, einem Benutzerworkflow und Anforderungen wird eine systematische Aufschlüsselung gewährleistet. Dieser Ansatz fördert innovative, hochmoderne Lösungen, erhält die Rückverfolgbarkeit der Anforderungen, setzt klare Entwicklungsziele, erleichtert die nahtlose Integration, verbessert die User Experience, steigert die Kundenzufriedenheit und vieles mehr. Die Vorteile sind endlos. Und das Sahnehäubchen ist, dass es auch einen enormen Einfluss auf die interne Mitarbeitendenzufriedenheit hat. Schließlich möchte jeder wissen, zu welchem größeren Zweck seine Arbeitsleistung beiträgt.