5 Minuten Lesezeit Mit Insights von Jochen Reber Principal Consultant Jochen.Reber@zuehlke.com Zur Ablösung eines Altsystems ist ein Big-Bang-Ansatz nur scheinbar einfach, birgt aber ein hohes Risiko. Risikominimierung kann durch eine inkrementelle Lösung mit Parallelbetrieb erreicht werden. Eine inkrementelle Lösung schafft frühe vorzeigbare Erfolge, erfordert aber eine aufwendige Synchronisation von Alt- und Neusystem. Systemmodernisierung umfasst die Ablösung von großen, historisch gewachsenen Systemen mit einer Vielzahl von Schnittstellen. Dies kann aus verschiedenen Gründen notwendig sein: Die alten Systeme sind nicht mehr wartbar oder neue Betriebsprozesse, organisatorische Veränderungen oder vertragliche Regelungen erfordern eine Aktualisierung. Das Risiko einer Systemablösung ist erheblich, weil dabei tief in die Geschäftsprozesse eines Unternehmens und in die Anwendungslandschaft eingegriffen wird. Dabei besteht der Anspruch, dass das laufende Geschäft möglichst nicht oder nur in geringem Ausmaß gestört wird. In diesem Blogeintrag vergleiche ich zwei Herangehensweisen von Systemmodernisierungen: Die Big Bang-Ablösung und die inkrementelle Ablösung. Beide Möglichkeiten werden auf ihre Vor- und Nachteile untersucht, wobei die inkrementelle Ablösung anhand eines konkreten Projektes erläutert wird. Projektsituation: Host-Migration Bei einem großen Logistik-Anbieter wurde ein zentrales Host-System komplett abgelöst und durch ein neues System ersetzt. Das neue System hatte ca. 50 Schnittstellen zu Außensystemen und 150 Stationen, über die bis zu 10.000 Aufträge pro Tag abgewickelt werden. Nach der Auswahl des neuen Systems stellte sich hier die Frage, wie die Migration auf das neue System stattfinden kann. Unterschiedliche Ansätze Bei der Big Bang-Ablösung wird das neue System zu einem definierten Zeitpunkt mit dem vollen Funktionsumfang eingeführt; das neue System übernimmt alle Geschäftsprozesse, die zuvor über das alte System abgewickelt wurden. Dieses wird zum gleichen Zeitpunkt komplett abgeschaltet. Bei der inkrementellen Ablösung wird dagegen die Einführung der Funktionalität des neuen Systems über einen längeren Zeitraum gestreckt. Dabei wird in einer Phase des Parallelbetriebs sowohl das alte als auch das neue System produktiv eingesetzt. Big Bang: Nur auf den ersten Blick einfach Eine Big Bang-Ablösung sieht in der Grobplanung am einfachsten aus und lässt sich meistens im kürzesten Zeitrahmen realisieren. Der Fortschritt bei Spezifikation, Entwicklung und Test lässt sich immer am Endzustand messen und es werden keine Zwischenlösungen gebaut, die nur für eine Übergangszeit benutzt und im finalen Zustand verworfen werden. Dieser scheinbare Vorteil wird allerdings oft durch die hohen Risiken mehr als aufgehoben. Dazu zählen extrem komplexe Einführungsprozesse mit vielen Abhängigkeiten, aufwändige Fallback-Szenarien, um auch bei Problemen während des „Bangs“ ohne Auswirkungen auf das operative Geschäft zurückschalten zu können, sowie extrem hohe Erwartungen und ein erst sehr spät nach außen sichtbarer Erfolg. Um diese Risiken zu minimieren, ist eine sehr detaillierte Feinplanung des Launches sowie eine hohe Anzahl an Dry Runs erforderlich. Dafür ist die kritische Phase auf einen sehr kurzen Zeitraum beschränkt und sämtliche Vorbereitungen können für diesen einen Termin optimiert werden. Inkrementelle Ablösung mit Parallelbetrieb In dem betrachteten Projekt wurde stattdessen eine inkrementelle Ablösung gewählt, die die Risiken abgeschwächt hat: Einerseits wurden Teilfunktionalitäten im neuen System schrittweise frei- und im alten System abgeschaltet. Andererseits wurden die Stationen nacheinander auf das neue System umgestellt, so dass für jede Station entweder das alte oder das neue System verantwortlich war. Dadurch, dass die Einführungsprozesse schrittweise durchgeführt wurden, wurde in jedem Einzelschritt die Komplexität und der Impact auf die Anwendungslandschaft geringer und Fallbackszenarien konnten besser geplant werden. Es war außerdem möglich, Erfahrungen mit dem neuen System im Betrieb zu sammeln, ohne dass bereits sämtliche unternehmenskritischen Prozesse über das neue System liefen. Reale Produktivkennzahlen und Laufzeiteffekte konnten auf diese Weise früh ermittelt werden, ohne dass der gesamte operative Betrieb betroffen war. Nutzer konnten besser betreut und Anwenderprobleme erkannt und behoben werden, bevor die nächste Station umgeschaltet wurde. Die inkrementelle Ablösung hat es aber auch notwendig gemacht, dass Alt- und Neusystem für die Übergangszeit parallel liefen und die Datensynchronität und Datenintegrität gewährleistet sein musste. Dafür mussten Schnittstellen und Abgleichmechanismen geschaffen werden, die nur für die Dauer des Parallelbetriebs benötigt wurden und anschließend weggefallen sind. Rückbetrachtung Die frühe Produktivschaltungen hat beim Management zu einer frühzeitigen Akzeptanz des neuen Systems durch die schon früh vorzeigbaren Erfolge geführt. Dadurch sank die Wahrscheinlichkeit, dass das Projekt während der Laufzeit von der Leitungsebene komplett gestoppt werden würde, denn das hätte den Rückbau des Neusystems zur Folge. Die gesamte operative Parallelphase zog sich in diesem Projekt über zwei Jahre hin und war schlussendlich erfolgreich. Am Ende des Projektes konnte das Altsystem bedenkenlos abgeschaltet werden, da das gesamte operative Geschäft zu diesem Zeitpunkt schon auf dem Neusystem lief. „It depends“ Schlussendlich hängt die Entscheidung für die eine oder andere Alternative von vielen Faktoren ab: Budget, Zeit, Risiko, Möglichkeit des Parallelbetriebs, vertragliche Konditionen und politische Stimmung. In manchen Fällen ist ein Parallelbetrieb nicht möglich, da die Systeme keine entsprechenden Schnittstellen oder Möglichkeiten der Synchronisierung vorsehen. Dann ist nur die Big Bang-Ablösung möglich, die bei anderen großen Migrationen erfolgreich angewendet wurde. Im Idealfall sollten all diese Faktoren betrachtet werden, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Dieser Artikel zeigt typische Argumente für beide Seiten auf und beleuchtet ein erfolgreiches Beispiel für die inkrementelle Ablösung. Die passende Lösung sollte aber immer im Einzelfall ausgewählt werden. Ansprechpartner für Singapur Jochen Reber Principal Consultant Jochen Reber ist Principal Consultant bei Zühlke Engineering. Er hat ein Diplom in Informatik und verfügt über 20 Jahre Erfahrung in der Software-Beratungsbranche. Er hat als Software-Ingenieur, Unternehmensarchitekt, Projektmanager, Prozessberater und agiler Coach in verschiedenen Branchen wie Finanzen, Logistik, öffentlicher Dienst, Automobile und Telekommunikation gearbeitet. Seine Hauptleidenschaft ist es, die Kluft zwischen Business und IT zu überbrücken, Menschen zusammenzubringen, effektiv zu arbeiten und komplexe Probleme zu lösen und sicherzustellen, dass das Richtige und Wertvolle entwickelt wird. Kontakt Jochen.Reber@zuehlke.com +65 6921 7800 Schreiben Sie uns eine Nachricht You must have JavaScript enabled to use this form. Vorname Nachname E-Mail Telefonnummer Message Absenden Bitte dieses Feld leer lassen Schreiben Sie uns eine Nachricht Vielen Dank für Ihre Nachricht.