9 Minuten Lesezeit Mit Insights von Fabian Laasch Ehemaliger Principal Business Consultant Einflüsse auf die Herstellkosten frühzeitig erkennen und bewerten Systemeingriffe helfen, die Herstellkosten drastisch zu senken (Value Engineering) Interdisziplinäre Teams weisen den Weg zu einer Optimierung der Systemarchitektur oder Neuauslegung Bei den meisten Produktentwicklungen spielen Herstellkosten eine wichtige Rolle. Sie beziffern die Kosten, die für Material und Fertigung für ein Produkt anfallen. Die Herstellkosten zu überschreiten bedeutet, die Marge eines Produktes zu gefährden – bis hin zur Unwirtschaftlichkeit. In diesem Artikel zeigen wir Ihnen anhand eines Beispiels, wie durch gewerkübergreifendes und systemweites Denken die Herstellkosten Ihres Produkts in der industriellen Fertigung effektiv gesenkt werden können. Wie lassen sich die Herstellkosten eines Produktes senken? Die einfache Antwort auf diese Frage ist meist: den Einkauf mit Verhandlungsgeschick Druck auf Zulieferer aufbauen zu lassen, um den Preis einzelner Komponenten zu senken. Alternativ können Sie versuchen, günstigere Komponenten von einem anderen Zulieferer zu beschaffen. Beide Methoden sind durchaus legitim und dürfen betrachtet werden, haben aber ihre Grenzen und Risiken. Im Zweifel sprechen wir hier über billigere anstelle von günstigeren Komponenten, die eventuell Qualitätsprobleme nach sich ziehen. Daher zeigen wir Ihnen im Folgenden weitere Möglichkeiten, die Herstellkosten für ein Produkt zu reduzieren. Dabei betrachten wir Bereiche wie die Systemarchitektur, Produktgestaltung und die Produktauslegung, um Optimierungspotenziale zu erkennen. Lassen Sie uns zunächst bestimmen, wer bei einer Neuentwicklung den größten Einfluss auf die Herstellkosten hat. Wir unterteilen in die vier Sektoren Marketing und Vertrieb, Entwicklung, Einkauf und die Produktion: Das Marketing und der Vertrieb wissen, was die Kunden und der Markt benötigen. Daher können Sie die Features und Anforderungen aufgrund deren Wichtigkeit bewerten. Die Wichtigkeit wird anschließend den Herstellkosten gegenübergestellt. Features, die nicht zwingend benötigt werden, entfallen und sparen Geld ein. So kann das Unternehmen bereits während der Entwicklung Aufwände für die Umsetzung irrelevanter Features einsparen. Die Entwicklung besitzt ebenfalls einen großen Einfluss auf die Herstellkosten. Hier ist es wichtig, gewerkübergreifend und systemweit an kostengünstigen Lösungen zu arbeiten. Wie genau das funktioniert, zeigen wir weiter unten im Artikel. Der Einkauf kann, wie bereits genannt, Preise verhandeln oder günstigere Lieferanten suchen. Dies hat aber nur einen begrenzten Einfluss auf die Herstellkosten. Im Zweifel ist es wichtiger, einen guten Support des Lieferanten zu bekommen als den letzten Cent aus einer Komponente zu pressen. Die Produktion hat einen vergleichsweise geringen Einfluss auf die Herstellkosten, falls Outsourcing oder eine Verlagerung der Produktionsstätte nicht in Frage kommen. So kann hier zum Beispiel nur durch eine Effizienzsteigerung die Durchlaufzeit in der Fertigung gesenkt werden. Dadurch sind keine großen Ersparnisse zu erwarten. In diesem Fall ist es wichtiger, dass bereits während der Entwicklung auf eine effiziente und schnelle Montage geachtet wird. Wenn Outsourcing oder eine Verlagerung der Produktionsstätte allerdings in Frage kommen, kann eine Änderung in der Produktion die Herstellkosten sogar halbieren. Das wäre zum Beispiel der Fall bei einer bestehenden Architektur mit hohen Stückzahlen, hohem Montageanteil und einer Verlagerung nach China. Jetzt, da wir uns dieser vier Bereiche bewusst sind, gilt es, die Preistreiber eines Produktes zu identifizieren. Das erlaubt Ihnen, Teile mit geringem Einsparungspotential später in der Betrachtung außen vor zu lassen. Es ist sinnvoll, anhand einer Ist-Analyse die teuren Komponenten und Funktionen festzuhalten. Im Anschluss bestimmen Sie mit einer Potential-Analyse unterschiedliche Varianten zur Einsparung. Großen Einfluss auf die Herstellkostenreduktion haben dabei zumeist stärkere Eingriffe in die Systemarchitektur. Bestenfalls werden mit einer optimierten Systemarchitektur nicht nur die Herstellkosten gesenkt, sondern weitere Vorteile erzielt. Ein solcher Vorteil wäre zum Beispiel ein Komfortgewinn für den Nutzer. Wie der Prozess einer Herstellkostenreduktion durch gewerkübergreifendes und systemweites Denken konkret aussehen kann, zeigen wir Ihnen im nächsten Abschnitt. Staubsaugroboter besitzen oft Sensoren, die dazu dienen, die direkte Kollision mit Gegenständen oder Wänden zu erkennen. Der Roboter berührt zum Beispiel eine Wand an der vorderen linken Ecke und weiß nun, dass er sich etwas rückwärts und danach nach rechts bewegen muss. In unserem Produktbeispiel ist dieser Sensor vier Mal an jeder Ecke des Roboters vorhanden. Er wurde über jeweils einen Taster, der mit Kabel und Stecker an das Mainboard des Roboters aufgesteckt ist, installiert Schritt 1: Zu Beginn steht die Ist-Analyse Für ein systematisches Vorgehen im Value Engineering zur Kostenreduktion verschaffen wir uns als Erstes einen Überblick über die einzelnen Sub-Funktionen und Eigenschaften des zu optimierenden Systems. Für unser Produktbeispiel sind dies folgende: Die Kollision zwischen Gegenstand und Roboter wird über vier Gehäuseteile (Bumper) mechanisch aufgenommen Die Betätigung der Bumper wird über jeweils einen Taster digital ausgewertet Jeder Taster wird über Kabel elektrisch mit dem Mainboard verbunden Jeder Bumper wird nach der Kollision über Federn wieder in eine neutrale Position zurückbewegt Alle vier Bumper können gleichzeitig betätigt werden und Kollisionen erkennen Anschließend betrachten wir die Anzahl und Kosten der Bauteile des Staubsaugroboters. Aus der Tabelle wird ersichtlich, dass der Sensor aus erstaunlich vielen einzelnen Komponenten besteht. Die hohe Anzahl an Bauteilen ist bereits ein erstes Indiz für Einsparungspotenziale. Die Kosten der Montage sind in dieser Tabelle nicht aufgelistet. Grundsätzlich gilt aber auch hier: viele Bauteile entsprechen vielen Montageschritten und somit erhöhten Kosten. Nachdem der aktuelle Zustand ausreichend dokumentiert wurde, folgt jetzt die Kreativarbeit. Schritt 2: Kreativworkshop: Entscheidende Eingebungen und Erkenntnisse Wie können wir den kreativen Prozess zu einem günstigeren System fördern? Hierfür benötigen wir ein interdisziplinäres Team mit Ingenieuren aus den Bereichen Mechanik, Elektronik und gegebenenfalls der Software. Im optimalen Fall wird das Team ergänzt durch Experten mit Domänen-Know-how, zum Beispiel Ingenieure, die bereits an der Umsetzung der ersten Hardware-Version beteiligt waren. Wichtig ist aber auch, Personen mit wenig Kenntnis der Projekthistorie zu involvieren. Dies bringt frischen Wind und neue Ideen mit sich. Dem Team teilen Sie anschließend die vorab gewonnenen Erkenntnisse über die Kostenstruktur mit. Danach wird das Team mit der Aufgabe betraut, Ideen für ein günstigeres System zu skizzieren. Dabei wird zuerst jede Person für sich Ideen generieren, um diese im Anschluss vor dem Team kurz zu erläutern. Diese Ideen dürfen noch so wild sein. Eine tatsächliche Machbarkeit ist an dieser Stelle noch nicht wichtig. Eine scheinbar nicht umsetzbare Idee kann nämlich einen Kollegen inspirieren und sich später zu einem tragfähigen Konzept entwickelt. Folgende Fragen sind während des Workshops hilfreich für das Team: Können Bauteile entfallen, indem deren Funktionen in andere, bereits vorhandene, Bauteile integriert werden? Idee: Kann die Verkabelung zwischen Taster und Mainboard in das Printed Circuit Board integriert werden? -> Durch Platzierung der Taster auf dem Printed Circuit Board entfallen Kabel, Stecker, Buchse, Crimp-Kontakte und Montageaufwände. Kann der Federmechanismus als Kunststoffteil in die Bumper integriert werden? -> Die Federn aus Metall entfallen und die Montageaufwände sind geringer. Können viele gleichartige Bauteile zusammengefasst werden zu einigen wenigen? Idee: Ist es möglich, die vier Bumper als ein einziges Teil zu fertigen? -> Das würde keine große Ersparnis der Materialkosten bedeuten, reduziert aber die Montageaufwände. Ist es möglich, die vier Taster als einen einzigen Sensor zu gestalten? -> Ein Sensor ist gegebenenfalls günstiger als vier Taster. Können bestehende Anforderungen so beschnitten werden, dass Sie keinen Nachteil für das System bedeuten, aber günstiger in der Herstellung sind? Idee: Ist es notwendig, dass Kollisionen gleichzeitig an allen vier Seiten detektiert werden? -> Der Roboter bewegt sich nicht gleichzeitig in mehrere Richtungen. Unter dieser Annahme kann eine Kollision nur an einer Seite auftreten. Dies stützt die vorherigen Ideen, die vier Taster und vier Bumper zu vereinen. Ergeben alternative Konzepte Vorteile für das System? Idee: Ist das binäre, digitale Verhalten der Taster optimal? -> Eine Art linearer Sensor könnte Tiefeninformationen geben. Ist ein berührungsloser Sensor anstelle des Tasters vorteilhaft? -> Können wir zum Beispiel einen Hallsensor als Näherungssensor verwenden? Das Sensorelement wäre somit frei von mechanischen Belastungen. In Kreativrunden werden Ideen, wie die gerade aufgelisteten, geschärft, bewertet und zusammengeführt. Ein Kreativworkshop findet immer in mehreren Runden statt. Zum Schluss ergibt sich ein Gesamtkonzept für ein neues System, so auch für unseren Staubsaugroboter: Schritt 3: Das Ergebnis – so reduzieren wir die Herstellkosten für den Staubsaugroboter In der folgenden Grafik sehen Sie das Ergebnis des Kreativworkshops zur Herstellkostenreduktion. Die Funktionsweise des neuen Systems erklären wir unterhalb der Darstellung. Ein einziger, umlaufender Bumper integriert flexible Kunststoffelemente als Federn. Die Taster inklusive der Verkabelung sind verschwunden. Dafür wird auf dem PCB Mainboard ein Sensor eingeführt, der ein Magnetfeld auf drei Achsen bestimmen kann. Auf dem Bumper wird zusätzlich ein Magnet befestigt, der sich zentral über dem Magnetfeldsensor befindet. Die Bewegung des Bumpers kann nun über den Magnetfeldsensor auf den beiden X- und Y-Achsen als Verschiebung im Magnetfeldvektor detektiert werden. Das optimierte Sensorsystem besteht somit nur noch aus den folgenden Komponenten: Zusammengefasst haben wir durch die gezielten Eingriffe in das System folgende Vorteile erreicht: Reduktion der Kosten um 65 % von 5,20 auf 1,80 Euro Reduktion der Bauteilanzahl von 32 auf 3 Reduktion der ursprünglich hohen Anzahl an Montageschritten auf nur noch zwei (Magnet in Bumper einbringen und Bumper in Chassis montieren) Das tatsächliche Sensorelement arbeitet berührungslos und ist frei von mechanischer Last, was die Lebensdauer erhöht Statt vier digitalen Werten können wir die einwirkende Kraft nun linear als Vektor bestimmen. Der Roboter kann dadurch optimiert navigieren Abschließend bleibt noch zu erwähnen, dass die gezeigte Herangehensweise auch Nachteile und Risiken birgt. Es ist zum Beispiel deutlich komplexer, den Magnetfeldsensor über eine serielle Schnittstelle auszuwerten als über vier binäre Taster-Signale. Eventuell muss der Sensor während der Fertigung kalibriert werden. Des Weiteren sind große Änderungen an den Kunststoffteilen, der Elektronik und der Software notwendig. Es muss also final eine Einschätzung getroffen werden, ob und ab welchen Stückzahlen sich dieser Eingriff lohnt. Mit einer gut aufbereiteten Herstellkosten-Analyse fällt diese Entscheidung aber leicht. Die drei Takeaways Folgende Faktoren haben wir in diesem Artikel angerissen: Das frühzeitige Einbeziehen von Marketing, Vertrieb, Entwicklung, Einkauf und Produktion, lässt Sie Einflüsse auf die Herstellkosten erkennen und bewerten. Optimierungen oder Neuauslegungen an der Systemarchitektur helfen, die Herstellkosten und Fertigungskosten deutlich zu reduzieren Der Weg zu einer neuen Systemarchitektur ist ein Kreativworkshop mit interdisziplinären Teams. Gewerkübergreifendes und systemweites Denken sind die Zukunft der Herstellkostenreduktion. Gezielte Fragen unterstützen den Prozess. Wir haben Ihnen hier nur einen Aspekt unserer Value Engineering-Methodik zur Herstellkostenreduktion gezeigt. Wenn Sie Fragen haben, sprechen Sie uns gerne unverbindlich an. Wir unterstützen Sie mit interdisziplinären Teams und dem bewährten Methodensatz dabei, Ihre Herstellkosten in den Griff zu bekommen und die Marge Ihres Produktes zu optimieren
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