7 Minuten Lesezeit Mit Insights von Stefan Mühlenbruch Head of Market Unit Cross Markets & Partner stefan.muehlenbruch@zuehlke.com Simon Schaefer Welche Möglichkeiten bietet Low Code Versicherern und Maklern? Wie kann es am zielführendsten eingesetzt werden? Die digitale Transformation der Versicherungsbranche ist in vollem Gange. Vor allem organisatorisch sind die meisten Unternehmen heute bereits ganz anders aufgestellt als noch vor wenigen Jahren. Jetzt gilt es, Geschwindigkeit aufzunehmen und diese Veränderungen in konkrete Projekte umzusetzen. Der sogenannte Low Code bietet Versicherern und Maklern hierbei spannende Möglichkeiten. Er verbindet vorprogrammierte Codes mit einer grafischen Benutzeroberfläche und ermöglicht es, dynamischer und schneller auf aktuelle Trends und Bedürfnisse reagieren zu können. Low Code: Booster für die Digitalisierung Beim Start der Apollo 11 am 16. Juli 1969 hing das Leben der Astronauten an der Qualität der von Margaret Hamilton entwickelten Steuerungssoftware. Sie und ihr Team hatten diese komplett in Maschinensprache (Assembly) mit einem geschätzten Gesamtaufwand von 1.400 Vollzeitjahren entwickelt, getestet und geprüft und auf der Rakete installiert. Die Größe des Source Code: Gerade einmal rund 3 MB! Seit dem Start der Apollo 11 hat sich einiges getan: Heute programmiert niemand mehr Basisfunktionen «von Hand». Bibliotheken, Frameworks, Cloud-Dienste und APIs werden konsequent wiederverwendet und genutzt – der Anteil selbst geschriebener Source Codes nimmt rapide ab. Low Code geht noch einen Schritt weiter und kombiniert solche «Templates» beziehungsweise «vorprogrammierten Funktionen» mit einer intuitiven grafischen Benutzeroberfläche. Damit ermöglichen Low-Code-Plattformen die Entwicklung komplexer Applikationen mit einem Minimum an Programmieraufwand. Die Vorteile von Low Code liegen auf der Hand: Durch Automatisierung vieler manueller Tätigkeiten entsteht ein enormer Geschwindigkeitsvorteil bei der Entwicklung von neuen Lösungen. Die damit verbundenen kurzen Umsetzungszyklen erlauben dabei eine rasche Validierung und ein iteratives Verbessern. Datenstrukturen werden mithilfe von Low-Code-Plattformen teilweise automatisch aufgebaut, Prozesse lassen sich visuell modellieren und zeitaufwändige Tests laufen selbstständig ab. Gleichzeitig können auch Fachbereichsmitarbeiter Aufgaben übernehmen, die in der Vergangenheit tiefgehende Programmierkenntnisse benötigten. Vorteile für die Versicherungsbranche Low Code kann also dabei helfen, Applikationen schneller zu erstellen und zu betreiben, die gleichzeitig auf dem neuesten Stand der Technik sind. Für die Versicherungsbranche ergeben sich hieraus spannende Möglichkeiten und Antworten auf drängende Probleme: Time to market: Im agilen Projektmanagement wird sehr häufig von „fail fast“ gesprochen. Um aber zu vermeiden, dass eine neue Idee schon scheitert, bevor sie überhaupt am Markt getestet werden konnte, geht es darum, entsprechende Markttests schnell und unkompliziert zu ermöglichen. Genau hier setzt der Low-Code-Plattform-Gedanke an: Vertrieb und Produktentwicklung werden in die Lage versetzt, Ideen schnell umzusetzen und an den Markt zu bringen. Erweist sich eine Idee als tragfähig, kann diese entsprechend weiterverfolgt werden. Erweist sie sich als weniger erfolgversprechend, ist die Summe der versenkten Kosten überschaubar. Innerhalb von Low-Code-Plattformen lassen sich nicht nur einzelne Anwendungsfälle, sondern komplett neue Geschäftsmodelle erproben. So lässt sich beispielhaft überprüfen, ob die Echtzeitverarbeitung von Daten aus dem Internet der Dinge eines Kooperationspartners auch wirklich im Kontext der Annahmen der eigenen Aktuare funktioniert. Schnittstellenfähigkeit nach außen und innen: Nicht nur die Anforderungen des Endkunden an Versicherungsunternehmen wachsen, auch der gegenseitige Anspruch an die digitale Leistungsfähigkeit der verschiedenen Marktteilnehmer nimmt stetig zu. Versicherer müssen schon heute diverse Schnittstellen bedienen – sei es zu Vergleichsrechnern, in der Verarbeitung von Konsortialgeschäft oder zu Plattformen. Low Code kann helfen, diese „Öffnung nach außen“ und die Anbindung an Dritte zu beschleunigen. Gerade dann, wenn Versicherer für innovative Themenfelder einen Two-Speed-IT-Ansatz wählen. Hier kommt früher oder später der Zeitpunkt, an dem neue und alte Systemlandschaften wieder miteinander verbunden werden müssen. Moderne Schnittstellentechnologien im Kontext von Low-Code-Plattformen können hier für einen enormen Geschwindigkeitsgewinn sorgen. Modernisieren und innovieren: Unternehmen in der digitalen Transformation müssen sich entscheiden, ob sie zunächst die gesamte IT-Landschaft modernisieren oder sich vorrangig neuen Produktideen und verbesserten Prozessen widmen wollen. Auch Low Code wird es nicht schaffen, diese beiden Pole voneinander zu isolieren. Doch es kann dabei helfen, die effektive Bearbeitung der beiden Themenfelder zu parallelisieren. Hierdurch entsteht die Chance, Druck von den allgegenwärtigen Großprojekten zu nehmen und gleichzeitig am Markt nicht nur präsent, sondern auch innovativ zu sein. Interdisziplinarität fördern: Dass Entwicklerkapazitäten in Versicherungsunternehmen rar gesät sind, ist keine neue Erkenntnis. Low-Code-Plattformen können dieses Problem zumindest lindern, indem sie die Zusammenarbeit zwischen IT und Fachbereichen in interdisziplinären Teams fördern. Mitarbeiter aus dem Fachbereich werden in die Lage versetzt, Aufgaben zu übernehmen, für die zuvor Programmierkenntnisse notwendig waren. Mitarbeiter aus der IT werden von Aufgaben entlastet und können ihr Know-how dort einbringen, wo es am meisten Wert generiert. So entsteht nicht nur eine intensivere Zusammenarbeit, sondern auch mehr Spaß an der Arbeit. Herausforderungen bei der Umsetzung Angesichts der großen Vorteile von Low Code erscheint die Prognose des Marktforschers Gartner durchaus realistisch, dass bis 2024 jedes dritte Unternehmen auf Low-Code-Plattformen zurückgreifen wird. Doch für die meisten dieser Unternehmen gibt es bis dahin noch einiges zu tun – insbesondere, wenn sie aus der Versicherungsbranche kommen. Denn die Integration einer Low-Code-Applikationsplattform in eine bestehende Prozesslandschaft benötigt eine gewisse Vorbereitung: Business Case sauber recherchieren und validieren Low-Code-Plattformen werden in teilweise komplexen Lizenzmodellen angeboten. Die gesamten Entwicklungs- und Betriebskosten (Total Cost of Ownership) des Produkts beziehungsweise Projekts müssen daher über den kompletten erwarteten Lebenszyklus berechnet und in den Varianten mit/ohne Low Code gegenübergestellt werden. Die entscheidenden Faktoren sind dabei das Preismodel des Anbieters und die Entwicklungs-/ Betriebsaufwände beziehungsweise Kosten. Ebenso müssen die Zeitpläne mit/ohne Low Code gegenübergestellt werden. In der Summe ergibt sich dann eine Bewertungsmatrix aus Investitionen und Zeitplanung, welche die Grundlage für die Entscheidung liefert. Anforderungen durch Compliance klären Wie bei jeder Nutzung von proprietären Softwarekomponenten und Diensten ist es auch bei Low Code wichtig, die entsprechenden rechtlichen und regulatorischen Vorgaben (Compliance) einzuhalten. Im Vordergrund stehen dabei die verschiedenen Zertifizierungen und die Auditierbarkeit der Plattformen sowie der resultierenden Software. Weitere wichtige Punkte sind die Ansprüche an eine langfristige Speicherung und angemessene Sicherung der Daten. Diese Anforderungen müssen direkt mit den Deployment-Optionen der Plattform (On Premise, Private Cloud, Public Cloud) abgeglichen werden. Ebenfalls ratsam ist es, die Master Service Agreements der jeweiligen Plattformen mit der Rechtsabteilung zu bearbeiten – insbesondere im internationalen Kontext. Nutzer und Stakeholder frühzeitig miteinbeziehen Am wichtigsten für den Erfolg eines Systems ist oft weniger die Leistungsfähigkeit der Technologie als vielmehr die Akzeptanz der Endnutzer und die Fähigkeit, auf sich laufend ändernde Anforderungen einzugehen. Low-Code-Applikationsplattformen schaffen hier einen großen Mehrwert, da sie es möglich machen, Lösungen rasch zu validieren. Hierzu ist es aber unerlässlich, diese Lösungen gemeinsam mit den effektiven Endnutzern zu erarbeiten. Planen Sie deshalb den Zugang zu echten Nutzern systematisch ins Projekt ein. Neben denjenigen, die operativ in der Low-Code-Umgebung arbeiten werden, sollten Sie auch andere Stakeholder wie die IT-Sicherheit von Beginn an involvieren. Auch der Tipp, sich schon bei der Einführung von Low-Code-Plattformen Gedanken über Nutzererlebnis und Designvorgaben zu machen, hat sich in der Praxis bewährt. Bei der visuellen Gestaltung und dem Design ist mit Low-Code-Plattformen vieles möglich – umso wichtiger ist eine klare Linie bezüglich der Anforderungen. Möglichkeiten von Datahubs nutzen Moderne Low-Code-Applikationsplattformen bieten in der Regel mehr als nur die Möglichkeit, weitere Applikationen zu entwickeln. So können bei der Low-Code-Softwareplattform Mendix existierende Schnittstellen und Kernsysteme in einen Datahub integriert werden, über den dann diverse Applikationen auf Daten und Dienste zugreifen können. Diese Integrationskonzepte sind das unternehmensinterne Äquivalent einer Open-Data-Strategie, die innerhalb eines Unternehmens erhebliche Innovationspotenziale freisetzen kann. Nutzen Sie solche Strategien bewusst, um unbekannte Synergien und Innovationen zu ermöglichen. Ermöglichen Sie Ihren Experten in cross-funktionalen Teams mit Low-Code-Applikationsplattform ihr Fachwissen zielgenau einzubringen, um so ganze Prozesse dynamisch weiterzuentwickeln, zu erneuern und zu verbessern. Wie geht es weiter? Noch sind Low-Code-Plattformen weitestgehend Neuland für Versicherer und Makler. Doch die Wettbewerbsvorteile, die sich durch eine erfolgreiche Implementierung ergeben, dürften nicht mehr lange ungenutzt bleiben. Angesichts der enormen Geschwindigkeitsvorteile bei der Entwicklung neuer Lösungen kann diese Technologie der Booster sein, der die digitale Transformation in einen stabilen Orbit befördert. Wir prognostizieren dieser Technologie jedenfalls angesichts des bisherigen Feedbacks aus dem Markt einen fast genauso steilen Aufstieg wie seinerzeit der Apollo 11. Der Artikel ist zuerst im Versicherungsmonitor erschienen Ansprechpartner für Deutschland Stefan Mühlenbruch Head of Market Unit Cross Markets & Partner Stefan Mühlenbruch ist seit 2020 Teil von Zühlke und verantwortet die Market Unit "Cross Markets" in Deutschland. Gemeinsam mit seinen Teams fokussiert er sich auf die digitale Transformation von Unternehmen aus den Bereichen Energy, Retail, Travel & Transport, Telecommunications, Media und dem Public Sector. Für Stefan steht der konkrete Nutzen von Technologieprojekten im Vordergrund. Sein Leitprinzip: Technologie nicht um ihrer selbst willen, sondern zur Schaffung von Mehrwerten. Kontakt stefan.muehlenbruch@zuehlke.com +49 173 961 42 51 Schreiben Sie uns eine Nachricht You must have JavaScript enabled to use this form. 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